Die Wohlfühloase hoch über dem Urnersee

Mondholz, vegetarische und vegane Küche, Mitarbeitende, die eigenständig funktionieren sollen: Martin Reichle setzt mit der vor gut einem Jahr eröffneten «Berglodge37» auf den Eggbergen neue Akzente. Er erfindet die Seminarhotellerie zum Wohle von Mensch und Natur neu.

Jörg Ziegler reicht Goldmelisse, Pfefferminze und Gänseblümchen. Gepflückt im Garten auf 1500 Meter über Meer. Blüten und Blätter schmecken nach reiner Natur. Zum Dessert gibt es eine frische Erdbeere aus dem eigenen Garten. Ziegler, gelernter Maurer und Sozialpädagoge, kümmert sich um alles, was rund um die «Berglodge37» auf der Sonnen-terrasse hoch über Altdorf gedeiht. In einem handels-üblichen Hotel mit 37 Betten wäre ein so engagierter Gärtner ein Luxus. Aber die Lodge ist kein normales Hotel, sondern ein Herzensprojekt von Martin Reichle und Ruth Koch. Ziegler ist zudem hausinterner Nachhaltigkeits- und Sozialmanager. Sein Credo: «Die Bäume im Wald achten aufeinander. Wenn einer zehn Meter höher wächst als die umliegenden, schwächt er sich. Genau so muss auch ein menschliches Team funktionieren.» 

Zurück zum Herzenssprojekt: Martin Reichle besitzt zusammen mit seinem Bruder Peter das Unternehmen Reichle & De-Massari (weltweit mehr als 1000 Mitarbeitende, Hauptsitz in Wetzikon ZH). R&M stellt Netzwerktechnik für die Kommunikationsbranche her. Dank mehr als 100 Millionen verkaufter RJ45- Stecker konnte die «Berglodge37» finanziert werden.

Martin Reichle zog sich aus der operativen Führung des Familienunternehmens zurück. «Mit 55 Jahren wollte ich ein neues Kapitel beginnen und der Gesellschaft etwas zurückgeben.» Neben einigen Start-ups ge hört sein Engagement der «Berglodge37». «Vor 15 Jahren hatten wir ein Ferienhaus auf den Egg-bergen gekauft, das mittlerweile unser fester Wohnsitz ist», erzählt Reichle. «Als sich die Gelegenheit bot, hier ein altes Lagerhaus samt 3000 Quadratmetern Umschwung zu erwerben und ein Seminarhotel zu bauen, griffen wir zu.» Das Lagerhaus ist Ge- schichte. In nur 15 Monaten Bauzeit entstand ein wunderbares Hotel mit drei Gebäuden, 23 Zimmern und einer Suite, inklusive Seminarinfrastruktur und zwei Saunen.

Individualgäste vor allem an Wochenenden
Mitte Juli 2022 feierte man Eröffnung. Bereits haben zahlreiche Firmen und Organisationen Mitarbeitende, Kader und Top-Management zu Schulungen, Retraiten, Auszeiten und Workshops auf die Eggberge geschickt. «Die heutige hektische Welt braucht Oasen», sagt Martin Reichle, «und wir decken genau dieses Bedürfnis ab.»

Vornehmlich an Wochenenden buchen auch Individualgäste. Sie wandern dann von der Lodge aus zum Wild heuerpfad oder zum Schächentaler Höhenweg. Der Kulissenwechsel ist eindrücklich: Die «Berglodge37» ist per Zug und Luftseilbahn ab Flüelen oder nur in gut eineinhalb Stunden ab dem Zürich HB erreichbar.

Das Geschäft mit den externen Seminaren soll der Anfang von etwas Grösserem sein. «Wir wollen bald selber Inhalte anbieten und eigene Seminare aus-schreiben», sagt Reichle. Hauptthema: Impulse geben für mehr Vitalität im Leben. Der Hausherr denkt etwa an Schlafseminare, an Themen wie die Stressresilienz oder der Optimierung der Ernährung und Verdauung. Erste Versuche mit einer sanften Art von Detox sind bereits erfolgreich verlaufen. «Wichtig ist es, nicht missionarisch rüberzukommen», betont der engagierte Eigentümer der Berglodge. «Wir sind weder politisch noch religiös vorbelastet, sondern überzeugt, dass die Gäste von hier Positives in den Alltag mitnehmen können.»

Traumjob für den neuen Chef
Mit Pascal Schorno ist seit Juni ein Hotel- und Gastro-profi an Bord. Der einstige Absolvent der Hotelfach-schule Luzern führt den Betrieb operativ und entwickelt ihn weiter. Der Obwaldner war sechs Jahre für ein IT-Unternehmen unterwegs und blickte bei vielen Hotels hinter die Kulisse. «Das Angebot, die Lodge auf den Eggbergen zu leiten, konnte ich nicht aus-schlagen», sagt Schorno. «Für mich geht hier ein Traum in Erfüllung.»

Martin Reichle und Ruth Koch hatten das Seminar-hotel aus den Startblöcken gebracht. «Als Quereinsteiger unterschätzten wir die Aufgabe», bekennt Reichle. «Heute weiss ich, was es heisst, Hotelier zu sein. Ich zolle der Branche grössten Respekt!»

Diese drei Themen fallen in der «Berglodge37» be- sonders auf:

1. Der Bau: Geheimnisvolles Holz

Nachhaltigkeit war beim Bau des alpinen Seminarzentrums oberstes Gebot. Mit der Urner Gotthard Holzbau GmbH holte man eine spezialisierte Holzbau-firma ins Boot, die für das Projekt nur Schweizer Holz einsetzte. Die «Berglodge37» ist das einzige Berghotel, dass zu 100 Prozent aus Schweizer Holz (mit Zerti-fikat) gebaut wurde. Auf den Eggbergen wurden 250 Bergkiefern, ein Drittel des benötigten Volumens, geschlagen und in einer mobilen Sägerei verarbeitet. Die Berglodge besteht neben den Mauern vor allem aus Mondholz – Stämme, die im Winter drei Tage nach Vollmond geschlagen werden, wenig Feuchtigkeit enthalten, nicht knarren und resistent gegen Pilzbefall und anderes Ungemach sind.

In den Zimmern riecht es heimelig nach Holz, sogar die Betten sind aus Mondholz gefertigt. Die Tür zum grosszügigen Bad gleicht einer Pforte zu Urgrossmutters Plumpsklo, samt Holzriegel und neckischer Luke. Weitere Gadgets: Zahnbürstenhalter und Handtuchhalter aus Restholz. Und unter den Betten warten riesige Schubladen, in denen die Gäste das Gepäck verschwinden lassen können.

2. Kulinarik: Lob der pflanzlichen Kost

«Wir bieten ausschliesslich vegetarische Küche an», sagt Hotelchef Pascal Schorno. Viele Gerichte sind sogar vegan. In der Küche, wo mittelfristig Kochkurse stattfinden sollen, arbeiten drei talentierte Quereinsteigerinnen. In der «Berglodge37» gibt es Vollpension – Zum Zmittag immer Suppe, Salatbuffet und regionalen Käse, dazu etwa Gemüsestrudel. Am Abend versammeln sich die Gäste um eine Tavolata und beenden den Abend im gemütlichen Kaminraum mit Bibliothek. Bei den Getränken gilt Selbstbedienung und -deklaration. «Der Verzicht auf Fleisch ist ein Beitrag zur Nachhaltigkeit», sagt Martin Reichle. «Das Feed-back auf unsere Küche ist sehr positiv.»

3. Mitarbeiterführung: Flache Hierarchie

Bis auf ganz wenige Ausnahmen arbeiten Zentral-schweizerinnen und Zentralschweizer in der Lodge, viele aus dem Kanton Uri. «Die Hierarchie ist ganz flach», sagt Pascal Schorno, der sich eher als Mentor und Coach denn als über allem thronender Direktor sieht. Auf der Payroll: 30 Leute, davon zehn Vollangestellte. Die Mitarbeitenden können die Abläufe selber festlegen, so Schorno. «Eigenverantwortung ist Motivation.» Reichle fügt an: «Schön zu sehen, wie die Angestellten hier aufblühen.»

Brancheninsider trauten Konzept nicht

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung ist man zufrie-den. «Wir sind im Plan», sagt Pascal Schorno. Martin Reichle kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen: «Neben den neun Doppel- auch vierzehn Einzelzimmer, vegetarische Kost – viele Brancheninsider trauten unserem Konzept nicht. Aber es funktioniert.»

Gerade zeigt der Hausherr seinen heimlichen Stolz, die beiden grosszügigen Seminarräume mit der High-tech-Ausstattung: Beamer? Von gestern! In der «Berg-lodge37» arbeitet man mit einem sechs Quadratmeter grossen LED-Screen. Bei Videokonferenzen zoomt die Kamera von selbst auf die Sprecherin oder den Sprecher. Dafür fehlt in den Zimmern der Fernseher. «Kanal 1 ist das linke, Kanal 2 das rechte Fenster», witzelt Reichle und zeigt auf das Traumpanorama mit Urnersee, Uri Rotstock oder der Südflanke der Rigi. Im Garten, der nahtlos in die umliegenden Matten übergeht, arbeitet Jörg Ziegler. Gerade stoppt er eine der Köchinnen, die Petersilie schneiden will: «Warte noch ein paar Tage, die Pflänzli dürfen noch länger wachsen.»

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